Samstag, 22. Januar 2022

Pandemiegedanken

Ich bin es leid. Ich bin es leid, mich entscheiden zu müssen, ob ich meine Freunde sehe oder meine Familie gefährde. Ich bin es leid, einen Blumentopf zu kaufen und als Großereignis in mein Wohnzimmer zu stellen, nur damit Farbe in mein Leben kommt. Ich bin es leid, bei jedem Ton meines Handys zu überlegen, ob es nun eine gute Idee ist. Oder zu gefährlich. Oder zu einsam. Kein Kino, keine Bar. Ich bin es leid. Der Spaziergang im Kiez ist trist geworden. Hundehaufen, vertrocknete Weihnachtsbäume, eine Maske in der Pfütze.

Von außen betrachtet sieht es eigentlich ganz schön aus. Von innen betrachtet angenagt durch Gedankenschleifen. Ich hab es doch gut. Guter Job, Arbeit zuhause, schöne Wohnung. Sonntags leckere Ente aus dem Ofen. Mit einer Prise Schuld, dass dennoch etwas fehlt, obwohl alles da ist. Müsste ich nicht fröhlich aus dem Bett hüpfen, die Zeit genießen. Mein Italienisch am Leben erhalten, das Aquarell zuende malen, das neue Buch lesen. Was draus machen, wie man so schön sagt? Das tun, was ich beklagt hätte, nicht geschafft zu haben, wäre ich im Kino gewesen?

Ich bin es leid, die Zeit zu haben, zu beklagen, dass ich die Zeit nicht nutze. Es wiegt schwer. Die Verantwortung für die Gesundheit anderer. Die fehlende Wahlfreiheit. Das mühsame Aufrechterhalten des Glücks. Ich bin es leid.

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