Sonntag, 6. Dezember 2020

Weihnachten 2020

Und plötzlich brennt wieder die zweite Kerze. Wir schauen die gleichen Filme wie im letzten Jahr, backen das gleiche Plätzchen-Rezept und überlegen wieder, was wir Tante Ursula nun schenken. Und dazwischen? Ein Jahr rum. Fühle mich genauso allein wie vor einem Jahr. Wo ist es hin, dieses Jahr? Feiertage und Trubel; dann ein Virus, der um die Welt geht. Das Zuhause wird mehr Mittelpunkt, als wir es uns jemals hätten vorstellen können. Freizeitstress heißt jetzt, sich selbst zu isolieren um die Lieben sehen zu können. Und manch einer wird darauf sogar zu Weihnachten verzichten.

Was aber hatte ich mir vorgestellt? Wie hätte das Jahr denn sonst ausgesehen? Wilde Partys in einer Sommernacht am Kanalufer? Endlose Abende auf dem Balkon mit Freunden? Vielleicht ein Date? Das kleine Herzsymbol in der Ecke meines Displays bedeutet inzwischen nur sinnloses Wischen ohne echte Möglichkeit. Einfach nur ein verlorenes Jahr? Versackt ohne die Möglichkeiten zu nutzen, die es gegeben hätte? Eine Sprache lernen, Sport machen, sich selbst finden? Alles wieder eine Möglichkeit für die nächsten guten Vorsätze. Und ebenso nichtig.

Freitag, 27. März 2020

Mit Jogginghose in der digitalen Warteschlange

Ein Erfahrungsbericht nach zwei Wochen Homeoffice


Zugegeben, ich bin ein Fan vom Homeoffice. Arbeit und Privates vermischt sich in meinem Kopf sowieso, warum nicht auch der Ort des Geschehens? Ich lebe alleine, weder störe ich also jemanden, noch habe ich die chaotischen Aufgaben des Homeschoolings von zwei Kindern zu bewältigen. Corona zwang mich nun, dies nicht nur ein oder zwei Tage zu tun, um einen kreativen Fokus zu bekommen, sondern den Alltag genau so zu gestalten. Probleme oder gar Angst machte mir das zunächst einmal nicht. Und dennoch ist seit zwei Wochen gefühlt Alles ein klein wenig anders. 

Ich sitze auf dem Balkon in der Mittagssonne. Ein Stück die Straße hinunter übt jemand Opernarien und vom Balkon nebenan starrt mich die Nachbarskatze an. Das Telefon klingelt. Mein Esstisch ist nun mein Schreibtisch geworden. Fast jeden Tag sitze ich hier zwischen zwei und sechs Stunden vor der Kamera. Videocalls (zu denen mein lieber Kollege Daniel hier wertvolle Best Practices liefert!) ersetzen das Sitzen in Meetingräumen. Und wie ich bemerke, ist das durchaus nicht weniger produktiv. Im Gegenteil. Ein kurzer Zoff verpufft schneller auf dem heimischen Balkon. Kochen in der Mittagspause sortiert die eignen Gedanken. Das Feierabendbier mit den Kolleg*innen schmeckt auch virtuell.

Gemeinsam weniger allein.


Natürlich ist die Corona-Krise auch geprägt von wirtschaftlichen Ängsten. Künstler, Kleinunternehmerinnen, gastronomische und kulturelle Betriebe stehen teils vor dem Ruin. Für die Beantragung von Soforthilfen der Bundesregierung ist die Seite der ibb zunächst zusammengebrochen. Als die Infrastruktur wieder steht, muss man sich zur Antragsstellung Zeit nehmen. Die Nachricht: „Es befinden sich 35.739 Teilnehmer vor Ihnen in der virtuellen Warteschlange.“ Nun ist also auch das Warten virtuell geworden. Und dennoch genauso nervig wie analog. Um mich herum sehe ich derzeit aber auch viel Kreativität! Gastronomen, die ihre Vorräte für den guten Zweck kochen, eine Pastorin, die auf Instagram aus der Bibel liest, Pizzaläden, die Teig to go anbieten. Vielleicht ist das ein Schritt in die richtige Richtung, ein Weiterdenken. Verursacht und ermöglicht durch einen Virus. Umgesetzt von vielen einzelnen Wohnzimmern aus.

Aber Einsamkeit? Eher nicht. Ich lerne die Wohnzimmer-Einrichtungen meiner Kolleginnen und Kollegen kennen und schwatze mit ihnen auch mal über Kinder und Kochvorhaben zu Zeiten des Kontaktverbotes. Fast jeden Abend telefoniere ich mit verschiedenen Freunden und der Familie. Viel Neues gibt es bei kaum jemandem, aber wir tauschen uns aus. Auch über’s Homeoffice. Und wie ich dabei erfahre, ist das Gefühl des nach-Hause-Kommens durchaus ein Unterschätztes. Ich empfehle diesem Freund ein reelles Feierabendbier und denke noch lange darüber nach, dass Homeoffice auch Schwierigkeiten bergen kann. Das Homeschooling-Board der Tochter einer Kollegin zeigt mir, wie viel da „nebenbei“ noch zu tun sein kann. Doch was ist „nebenbei“? Sind Kinder Nebensache? Ist der Job Nebensache? Beides unvereinbar?

Aufforderung zur Vereinbarkeit.


Eine andere Kollegin schreibt mir, dass sie sich zum Meeting in großer Runde wohl verspäte. Kochen für die Kids ist angesagt. Ich finde, niemand muss sich hier entscheiden müssen. Widersprüche sind manchmal nur eine stille Aufforderung zur Vereinbarkeit. Und Flexibilität im Kopf. Kurzerhand wird das OKR-Meeting mit zoom.us aufgenommen und den anderen Kolleg*innen zur Verfügung gestellt. Ein Slack-Channel für Fragen steht offen. Abends dann beim virtuellen Check out lassen wir alle die letzte Woche passieren. Irgendwie ist gar nichts so richtig schief gegangen?

Doch da ist die Sache mit dem Vertrauen. Ich habe in meinem Umfeld nämlich auch Personen, bei denen sich die Führungskraft sehr spät oder gar nicht dazu durchringen kann, in Zeiten der Pandemie Homeoffice für die Mitarbeiter*innen zu ermöglichen. Während ich schon seit vier Tagen in Jogginghose arbeitete, ist dieser Schritt in anderen Unternehmen offensichtlich ein nicht so leichter. Gründe reichen von Szenarien, in denen aufgrund standardmäßiger Festplatz-PCs erst einmal Laptops für die komplette Belegschaft geordert werden müssen, hin zu der Begründung des Chefs, dass er ja nicht überprüfen könne, dass alle daheim auch arbeiteten. Hier fehlt es ganz offensichtlich an einem Grundvertrauen. Führung (hier mein Artikel zum Thema Management vs. Leadership) wird auch heutzutage noch viel zu häufig als reine Kontrollaufgabe verstanden. Die Grundannahme aus jeder Retro scheint in Zeiten von Corona nichts von ihrer Relevanz eingebüßt zu haben, sondern ganz deutlich an die Oberfläche des beruflichen Alltags zu treten:

Egal was eine Person tut, gehen wir immer davon aus, 
dass diese das nach bestem Wissen und Gewissen tut, 
um etwas Positives zu bewirken.

Und nur, weil mein Chef nicht neben mir auf dem Balkon sitzt, gibt diese Grundannahme die Sicherheit eines wirklichen HomeOFFICES. Studien zeigen, dass Leute zuhause eher mehr als weniger arbeiten. Und was ich dabei anhabe, geht Keinen etwas an. In der Sonne sitzen, ist kein Faulenzen. Abwaschen beim gemuteten Headset während eines Meetings? Warum nicht? Hauptsache das Ergebnis ist gut. Und hier können wir alle weiterhin an einem Strang ziehen, uns schnell per Telefon oder Videocall zusammenfinden, auf digitalen Whiteboards gemeinsam kreativ sein.

Flexibel oder strukturlos?


Wenn ich den Browser öffne: „10 Tipps gegen Langeweile zuhause“. Langeweile? Ich arbeite! Und zwar Vollzeit! Hinweise ploppen auf, wie Homeoffice gelingen kann. Viele Artikel, Videos und Hinweise empfehlen mir derzeit, mich anzuziehen wie sonst, jeden Tag zur selben Uhrzeit meinen (Arbeits-)tag zu starten, mir einen Plan zu machen. Ich komme ins Zweifeln. Mache ich da etwas falsch? Bedeutet Homeoffice für mich doch die Flexibilität, sich den Tag dem eignen Flow anzupassen.

Wenn also der Kopf raucht – warum ein schlechter Gewissen haben, bei einer Folge der spannenden neuesten Netflix-Serie? Um 30 Minuten später wieder den Kopf für den nächsten Task frei zu haben. Natürlich gilt es, Kundenanfragen zu beantworten, Meetingtermine einzuhalten, eben den Job zu machen. Aber am Vormittag keine Videocalls, keine Meetings? Was spricht gegen die Jogginghose? Für viele Kreative, Berater und Coaches ist Gemütlichkeit auch eine geistige Einstellung, vielleicht sogar Hilfestellung. Natürlichkeit, Einfühlungsvermögen und Freiheit im Kopf helfen uns, für unsere Kunden da zu sein, Lösungen zu finden, weiterzudenken.

Nicht mehr Regeln als nötig.


Wer Struktur braucht, kann sich natürlich weiterhin seinen Tag planen, auch ich mache das hin und wieder. Pläne – nicht nur im agilen Alltag – funktionieren zwar meist nicht, aber eine mit Bedacht gefüllte Input Queue auf meinem digitalen Kanban-Board kann ja nicht schaden. Auch gibt es ein paar zeitliche und digital-soziale Regeln, wie das virtuelle Daily im Slack-Channel der Teams. Doch neue Strukturen zu schaffen, nur der Struktur wegen, halte ich nicht für hilfreich. Denn im Homeoffice geht es nicht darum, plötzlich die eigene Arbeit schleifen zu lassen und dafür händeringend Strukturen schaffen zu müssen, sondern sich die Freiheit nehmen zu können, die der eigenen Arbeit zu Gute kommt. Und die kann für Jeden etwas Anderes bedeuten. Das kann ein ausgedehnter Mittagsspaziergang mit den Kindern sein oder ein Home-Workout zwischen zwei Meetings, um den Kopf frei zu bekommen. Oder eben die Jogginghose.

Im Videochat mit Freunden machte gestern jemand den Scherz: „Naja, eigentlich kann es für dich ja dann immer so weitergehen!“ Ich habe kurz überlegt. Öfter wieder Freunde und Kollegen sehen fände ich nach Corona schon schön. Aber Homeoffice nicht zur Ausnahme zu machen auch. Eine neue Ausgewogenheit wäre für die Situation nach der Pandemie vielleicht wirklich hilfreich? Wir können hier sehen, was Corona also auch bietet: Eine Chance, Arbeit neu zu denken. Und wer weiß, vielleicht wird aus #NewWork auch #NewLife?

Dieser Artikel erschien auch im Blog der Leanovate GmbH: 
https://www.leanovate.de/mit-jogginghose-in-der-digitalen-warteschlange/ 

Montag, 27. Januar 2020

Ein Jahr danach: Vom Reisen.

Heute vor einem Jahr bin ich aufgebrochen. Vielen Dank an Facebook für die Erinnerung daran. Vor einem Jahr also. Auf nach Thailand. Auf jeden Fall auf eine Reise. Ich erinnere mich noch gut daran,  wie ich im Flughafen sitze, in die regenverhangenen Wolken Berlins schaue und auf's Boarding warte. Aufgeregt? Ja. Aber irgendwie auch die Ruhe selbst. Heute weiß ich, was in-sich-selbst-ruhen bedeutet. Oder habe zumindest hin und wieder eine kleine Ahnung davon. 

Muss man wirklich 8969 km weit fliegen, um eine Reise zu machen? Wahrscheinlich nicht. Und dennoch waren diese 8969 km nur der Startschuss für eine viel größere Reise. Der zu mir selbst. Heute, ein Jahr danach, wohne ich woanders und alleine, habe eine andere Rolle in meinem Job und meine mich ein kleines Stückchen besser zu kennen. Habe ich mehr Antworten? Eigentlich nicht, nein. Aber ich stelle mehr Fragen. Stelle sie in einem Kontext, der mir vorher nicht die Sicherheit gegeben hätte, sie zu stellen. Möglicherweise ist genau das die besagte Komfortzone. Aber es wird sich nicht die Umgebung verändern und diesen Kontext herstellen, sondern wir selbst sind es, die uns diesen Kontext schaffen. Wie? Da draußen muss sich gar nichts ändern - wir selbst sind es, die sich ändern können. Und damit ändert sich alles. Und schon seid ihr raus (aus der Komfortzone) und gleichzeitig mittendrin. Mitten auf der Reise, die sich Leben nennt. Der Flug nach Thailand? Wirkt nun wie der Nachhall der Startpistole im Nieselregen einer Großstadt im Januar.

"Die eigentlichen Entdeckungsreisen bestehen nicht im Kennenlernen neuer Landstriche, sondern darin, etwas mit anderen Augen zu sehen."
 Auf der Suche nach der verlorenen Zeit (Marcel Proust)